Wein Lese Land marbach + bottwartal 3/2017

Ellen Strittmatter, die Leiterin der Marbacher Museen beantwortet Fragen zur neuen Ausstellung „die Familie. Ein Archiv“.

In der kürzlich eröffneten Ausstellung ›Die Familie. Ein Archiv‹ ist viel von geistigen Verwandtschaften die Rede. Wie zeigt sich die geistige Herkunft eines Schriftstellers in der Ausstellung?

Wir zeigen Erb- oder Erinnerungsstücke, die, anstatt in der Familie weitergereicht zu werden, an Seelenverwandte oder Lebensmenschen vermacht wurden: Max Frisch etwa schenkte vor seinem Tod seinen Jaguar samt Schlüssel an Volker Schlöndorff, und Alexander von Humboldt sprach seinen beweglichen Besitz dem Kammerdiener zu. Wenn Mörikes Familie an den Beginn seines Familienstammbaums Martin Luther setzt, dann hat man es auch hier vielleicht trotz genealogischem Ansinnen eher mit Wahlverwandtschaften zu tun. Immer wieder inszenieren sich Autoren vor Bildern, Büsten und Büchern anderer großer Vorbilder, vertieft ins Geistergespräch: Dingeldey posiert vor Schiller, Hauptmann vor Goethe, Schnitzler vor Hauptmann. Viele der ausgestellten Notizen, Manuskripte und Briefe zeugen von dem Wunsch und der Idee der Autoren, eine Familie jenseits der eigenen zu erschreiben.

Hermann Dingeldey, 1865

Alexander von Humboldts letzter Wille, 1838 und 1855.

Inwiefern spielt Familie als literarischer Stoff in ihrer Ausstellung eine Rolle?

Es gibt Autoren, die für oder gegen die Familie schreiben, und solche, die Wunsch- oder Traumfamilien entwerfen und verwerfen. Und es gibt Autoren, die ein Leben mit ihren erfundenen Familienmitgliedern führen und dabei selbst zu einer ihrer Schöpfungen werden. Sie alle bezeugen auf ihre Weise, dass das Familiäre seine poetische Dynamik zwischen den Zeilen und in einem Grenzbereich zwischen Leben und Fiktion entwickelt.

Frischs Jaguarschlüssel für Volker Schlöndorff und Polaroidaufnahme der Übergabe 1990

In jüngerer Zeit sind viele Bücher mit starken autobiografischen Zügen erschienen, prominente Beispiele sind Der alte König in seinem Exil (2011) von Arno Geiger, die Romane von Karl Ove Knausgård und aktuell Zwischen ihnen (2017) von Richard Ford. Wie deuten Sie dieses Phänomen vor dem Hintergrund ihrer Familien-Recherchen?

Eine Bibliothek aller Generationenromane, der fiktiven oder autobiografischen Auseinandersetzung mit der Familie, der lyrischen und essayistischen Annäherungen an die Eltern, Geschwister, Neffen und Tanten – sie wäre kaum zu überblicken. In unserer 100 Bücher umfassenden Präsenzbibliothek stellen wir daher auch die Frage, ob es das überhaupt geben kann: Literatur ohne die Familie.(dla)