Etwas Fantasie, ein Schuss Kreativität, Papier und ein Bleistift: Mehr braucht es nicht zu einem spannenden Spiel mit Wörtern und Texten. Tipps dazu von Vera Hildenbrandt, Leiterin der Marbacher Museen.

Das gesellige Spiel mit Wörtern als Teil einer fröhlichen Tafelrunde hat Tradition. Es war an den italienischen Renaissancehöfen ebenso verbreitet wie in der französischen Hof- und Salonkultur des 17. Jahrhunderts, erlebte in Deutschland im späten 18. Jahrhundert eine Blütezeit in den bürgerlichen Salons, fand Eingang auch in die Literatur. Ein berühmtes Beispiel begegnet in Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg: An einem Sonntag nach dem Gottesdienst macht die von Kantor Klingestein geführte Fontane’sche Gesellschaft einen Ausflug in ein Spreewaldwirtshaus. Es gibt Hecht, dazu den mitgebrachten Wein aus dem Flaschenkorb, „der bereits während der Fahrt mehr als einen interessierten Blick auf sich gezogen hatte“. Die Tafelrunde unterhält sich mit Leberreimen (scherzhafte Stegreifgedichte), die nach etlichen Gläsern genossenen Weins ihren Abschluss finden in den Versen: „Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Störe, / Es lebe Lehrer Klingestein, der Kantor der Kantöre.“

Viel zu lange hat die Coronapandemie die Sehnsucht nach geselligen Runden dieser Art genährt. Wer dem nachgeben möchte, findet Anregungen zum gemeinsamen Spiel mit Zeichen und Wörtern im Literaturmuseum der Moderne auf der Marbacher Schillerhöhe. Es braucht nur Papier, Stift, Fantasie und Kreativität sowie Lust am Spiel – und man kann bei einem Glas Wein mit Freunden loslegen.

Buchstaben wiegen. Zum Spiel mit Buchstaben und Zahlen, mit Wörtern und Poesie, mit Mathematik und Literatur regt Oskar Pastior an. Unter Rückgriff auf eine bis in die Antike zurückreichende Tradition, nach der Wörtern und Wortgruppen bestimmte Zahlenwerte zugewiesen werden, wendet der rumäniendeutsche Lyriker eine mathematische Formel zur Generierung potenzieller Gedichte an: Jeder Buchstabe des Alphabets erhält ein Gewicht von „a = 1, b = 2, c = 3, bis z = 26. Umlaute jeweils mit e“. Das Gewicht eines Wortes oder Textes erhält man durch Addition der Buchstabengewichte. Der Eigenname Oskar Pastior wiegt nach dieser Formel 162. Die Herausforderung gewichteter Gedichte besteht darin, dass jeder Vers dasselbe Gewicht hat.

Oskar Pastior, Zeichnung, (c) DLA Marbach

Bilderrätsel. Ob nun auf Tee und Gebäck oder auf Wein und Tapas – eine Einladung zum geselligen Beisammensein muss nicht nur aus Buchstaben und Wörtern bestehen: Dies zeigt ein Brieflein Hilde Domins an ihren Mann Erwin Palm, in dem die Schriftstellerin Schrift und Bild rebusartig miteinander verwebt. „Mein liebes Äffchen. Ich biete Dir ein Teeviertelstündchen an von 6 – 620. Sorge für Tee, gedeckten Tisch und Gebäck! Du dormiglione [Schlafmütze], Beneidenswerter, sei geküßt von Deinem Hasen.“

Brief von Hilde Domin, (c) DLA Marbach

Buchstaben tauschen. Dem Hexen-Einmaleins der gewichteten Gedichte verwandt ist das Verfahren des Anagrammierens, bei dem aus dem begrenzten Buchstabensatz eines Wortes oder einer Wortfolge beliebig viele andere Wörter gebildet werden. Aus dem Titel der Kalendergeschichte Kannitverstan von Johann Peter Hebel schöpft Oskar Pastior am 7. Mai 1984 in Rom 44 neue Wörter.

Oskar Pastior, 7. Mai 1984, Zeichnung, (c) DLA Marbach

Mit geschlossenen Augen zeichnen. Im Jahr 1927 legen Ernst Penzoldt und Ernst Heimeran ein Gästebuch an, in das sie bis in die 50er Jahre hinein ihre Gäste mit verbundenen Augen Schweinchen zeichnen lassen. Sie folgen darin einem berühmten Vorbild: Thomas Mann schildert in seinem 1924 erschienenen Roman Der Zauberberg, was die Bewohner des Sanatoriums Berghof an Fasching bei diesem Experiment zustande bringen: „Was kamen dafür Mißgeburten zustande! Es fehlte an allem Zusammenhang. Das Äuglein fiel außerhalb des Kopfes, die Beinchen ins Innere des Wanstes, der seinerseits weit entfernt war, sich zu schließen, und das Schwänzchen ringelte sich irgendwo abseits, ganz ohne organische Beziehung zur verworrenen Hauptgestalt, als selbständige Arabeske.“

Zeichnung aus dem Gästebuch von Ernst Penzoldt und Ernst Heimeran, (c) DLA Marbach